Tiergestützte Förderung
Date mit Gretchen
Interview aus dem Magazin Blickwinkel, Ausgabe 1, 2020
Die tiergestützte Frühförderung ist ein neues Angebot im Bereich der Heilpädagogischen Frühförderung der Lebenshilfe Seelze. Heilpädagogin Johanna Sachse erklärt die Möglichkeiten der Methode.
Tiergestützte Frühförderung mit dem Hund – Frau Sachse, was verbirgt sich dahinter?
„Unter tiergestützter Frühförderung werden im Grunde Maßnahmen verstanden, die einen positiven Effekt auf das Verhalten und die Entwicklung von Kindern haben – und zwar durch die dosierte Zusammenarbeit mit einem Hund. Anders als etwa Besuchshunde, bei denen es in erster Linie um offene Begegnungen zwischen Mensch und Hund geht, werden Hunde in der tiergestützten Frühförderung bewusst eingesetzt, um bestimmte Förderziele zu erreichen.“
Der Therapiehund ist also weit mehr als ein Kuschelhund für die Seele?
„Ja, unbedingt. Es geht nicht darum, dass der Hund immer angefasst und gestreichelt wird. Kuscheln ist gut und schön, aber das bloße Dabeisein allein ist es nicht. Gretchen unterstützt mich in meiner Arbeit. Ich setze sie geplant und wohl überlegt ein, um an den jeweiligen Förderzielen der Kinder zu arbeiten. In vielen Fällen hat der Einsatz eines Hundes eine therapeutische Wirkung. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Arbeit mit Gretchen einen sehr positiven Einfluss auf die Förderung und Entwicklung der Kinder hat. Die Kinder machen meist Fortschritte, mit denen ich gar nicht gerechnet hätte. Wobei es wichtig ist, stets auch das Wohl des Hundes zu berücksichtigen. Ich setzte Gretchen für diese Arbeit ein, aber nur so, wie es ihr gut tut.“
In welchen Fällen bietet sich eine tiergestützte Frühförderung an? Wann kommt Gretchen zum Einsatz?
„Die Arbeit mit einem Therapiehund kann auf sehr vielfältige Weise den Förderprozess unterstützen und voranbringen. Sei es bei Kindern mit sprachlichen- und sozial-emotionalen Auffälligkeiten, aber auch bei anderen Förderschwerpunkten, die beispielsweise die Grob- oder Feinmotorik betreffen. Ebenso bei Kindern, die sich nicht an Regeln halten können oder Schwierigkeiten haben, mit anderen in Kontakt zu gehen. Tiergestützte Frühförderung ist dabei immer ganz individuell. Ich muss als Frühförderin kreativ werden und den Hund so einbinden, dass wir zusammen etwas erreichen – stets mit dem Blick auf das Förderziel des Kindes. Bislang arbeite ich tiergestützt ausschließlich mit Jungen und Mädchen ab drei Jahren, die ich schon über eine längere Zeit in der Frühförderung begleite. Bei denen ich bereits Vertrauen aufgebaut habe. Das sind beispielsweise Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten. Und Kinder, die Verzögerungen in der Sprachentwicklung zeigen. In den Therapiestunden mit Gretchen bauen die Kinder ihre sozialen, kognitiven und motorischen Fähigkeiten aus. Zielgerichtet – aber auf eine eher beiläufige, spielerische Art und Weise.“
Können Sie noch weiter ausführen?
„Der Umgang mit Gretchen erfordert die Festlegung von Verhaltensregeln. Auf meine Hündin kann ein Kind nicht unbedacht oder gar rabiat zugehen, weil sie sofort eine klare Reaktion zeigt. Die Kinder lernen diese Reaktionen wahrzunehmen, zu respektieren und sich an angemessene Umgangsregeln und Grenzen in der Zusammenarbeit mit Gretchen zu halten. Sie entwickeln eine gewisse Achtsamkeit und Feinfühligkeit. Darüber hinaus lernen sie, einem Tier respektvoll zu begegnen und Verantwortung zu übernehmen. Auf diese Weise werden die sozialen Kompetenzen gestärkt.
Bei Kindern, die ein mangelndes Selbstbewusstsein haben, kann die tiergestützte Frühförderung ebenfalls entscheidend helfen. Gretchen geht unvoreingenommen auf das Kind zu und nimmt es so an, wie es ist – zeigt aber gleichzeitig deutlich an, was für sie im Umgang in Ordnung ist und was nicht. Sie ist authentisch und verstellt sich nicht. Und wenn das Kind dann noch die tolle Erfahrung macht, dass Gretchen auf seine Kommandos reagiert, stärkt das sein Selbstwertgefühl enorm.
Mit einem Hund lassen sich die Kinder auch kognitiv gut herausfordern. Gretchen apportiert sehr gern. So können wir quasi ganz nebenbei Formen und Farben lernen. Die motorischen Fähigkeiten des Kindes können spielerisch trainiert werden, etwa beim Auffädeln von (Frolic-)Hundefutter auf eine Kette. Es gibt wirklich jede Menge Beispiele, wie sich ein Therapiehund gezielt einsetzen lässt. Das Schöne ist, dass ein Hund häufig auch das Interesse von jenen Kindern weckt, die ansonsten schwer zu motivieren sind. Gretchen bringt die Kinder dazu, mitzumachen – ganz allgemein ist sie ein wunderbarer „Kommunikationsöffner“, sie schafft es, dass die Kinder in Kontakt gehen. Dabei entwickelt sich sehr oft eine große Sprech- und Kommunikationsfreude.“
Beschreiben Sie doch bitte kurz den Ablauf einer Förderstunde mit Gretchen.
„Bevor ich Gretchen mitbringe, bahne ich das Ganze an. Ich zeige dem Kind zum Beispiel Fotos von Gretchen und erzähle ihre Geschichte, wo sie wohnt, was sie mag, welche Freunde sie hat. Das sind oft schon Momente, in denen sich auch das Kind öffnet und von sich erzählt. Ich bringe dem Kind bei, dass das Tier ein Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen ist und bespreche mit ihm angemessene Umgangsregeln. Was braucht es zur Kontaktaufnahme. Wann ist es in Ordnung, den Hund anzufassen . . . Diese Vorlaufphase erstreckt sich über bis zu sechs Förderstunden, bei denen Gretchen immer mal wieder zum Thema gemacht wird.“
Anbahnen, Kennenlernen und erst dann folgt eine Frühförderstunde mit dem Hund . . .
„Die Kontaktaufnahme erfolgt meist in Räumlichkeiten und zwar langsam und schrittweise. Von Termin zu Termin verringere ich den Abstand zwischen dem Kind und Gretchen. Manchmal machen wir auch einen Waldspaziergang, bei dem Gretchen einfach nur dabei ist. Wie schnell es zum direkten Kontakt kommt, ist individuell unterschiedlich. Ebenso die Gestaltung der Förderstunde mit Gretchen, das hängt eben wie bereits erläutert immer vom Kind und dessen Förderzielen ab. Vieles ist auch nicht exakt planbar, deshalb ist es ganz wichtig, dem Kind innerhalb des Plans seine Freiräume zu lassen. In der Regel erfolgt die tiergestützte Frühförderung dann zweimal die Woche für jeweils eine Stunde. Gretchen kommt in den Stunden aktiv aber nur für 2 x 15 Minuten zum Einsatz. Das ist wichtig, weil das Ganze für den Hund enorm anstrengend ist, auch wenn es nicht so aussieht. Deshalb muss ich mir im Vorfeld gut überlegen, wofür ich diese Zeit einsetzen möchte. Zwingend notwendig sind Rückzugsräume für Gretchen, zum Schutz des Hundes. Sie macht also auch viel Pause auf einer Decke oder in einer Box, während ich mit dem Kind dann andere Dinge erarbeite.“
Johanna Sachse
Johanna Sachse gehört seit 2017 zum Team der Frühförderung. Während ihres Studiums der Anglistik und Amerikanistik an der Universität in Marburg hat Sachse nebenbei im sozialen Bereich mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet. Ab 2014 studierte sie „Heilpädagogik – Inklusive Bildung und Begleitung“ mit den Schwerpunkten frühkindliche Entwicklung und der Frühförderung. 2019 absolvierte Johanna Sachse den Lehrgang „Tiergestützte Therapie mit Hund“.
„Man muss ein gutes Team sein, eine sichere Bindung als Fundament aufgebaut haben und sich aufeinander verlassen können. Genauso wie bei Kindern sind Bindung und Beziehung die Basis für alles Weitere.“
Gretchen – der Therapiehund
Gretchen ist ein Golden Doodle, eine Mischung aus Golden Retriever und Pudel. Diese Rasse ist in der Regel hypoallergen, also für Allergiker geeignet. Der Goldendoodle ist intelligent, ausgeglichen, einfühlsam und kinderlieb. Er wird deshalb gern als Therapiehund eingesetzt. Seit vier Jahren ist Gretchen die treue Begleiterin von Johanna Sachse: „Sie ist ein wichtiger Teil meiner Familie.“