Marte Meo
„Ich habe gelernt, besser auf Cems Signale zu achten“
Reportage aus dem Magazin Blickwinkel, Ausgabe 2, 2018
Cem hat eine Sprachentwicklungsverzögerung. Seit rund einem Jahr erhält der Vierjährige einmal die Woche für zwei Stunden Frühförderung – abwechselnd zu Hause und in der Seelzer Kindertagesstätte Lindenstraße. Ein wichtiger Bestandteil ist Marte Meo. Cems Mutter Birgül Akdagli berichtet, wie ihr die videogestützte Methode buchstäblich die Augen geöffnet hat.
Frau Akdagli, wann haben sie erstmals Auffälligkeiten bei Cem festgestellt?
„Cem war ein sehr pflegeleichtes Baby und Kleinkind. Uns ist aber schon früh aufgefallen, dass er sprachlich keine Fortschritte macht. Mit anderthalb Jahren kam so gut wie nichts von ihm, weder „Mama“ oder „Papa“ noch einfache Zwei-Wort-Sätze. Kurz vorm zweiten Geburtstag waren wir mit ihm im Sozialpädiatrischen Zentrum. Der Gentest war aber unauffällig. Auch der Verdacht auf Autismus bestätigte sich nicht. Es wurde eine reine Sprachentwicklungsverzögerung diagnostiziert. Thomas Dierssen (Leiter der Frühförderung, Anm. d. Red.) hat uns dann vorgeschlagen, Marte Meo auszuprobieren.“
Wie beurteilen Sie die Marte Meo-Methode?
„Absolut positiv. Zunächst war ich etwas erstaunt, dass von den 15-minütigen Filmen nur ein, zwei Minuten übrigbleiben. Ich dachte erst, was soll das bringen. Aber es ist erstaunlich, man schaut sich jede Sekunde ganz bewusst an. Blicke, Tonfall, Körpersprache, Miteinander – diese kleinen Momente werden sichtbar. Was mir gefällt: Bei Marte Meo werden die positiven Seiten hervorgehoben. „Sieh mal, wie gut du das machst“ – das ist der Kern. Gleichzeitig öffnen die Bilder einem die Augen, was man noch besser machen kann.“
Was wollen Sie anders machen?
„Ich erlebe viele Situationen jetzt bewusster und intensiver. Ich habe gelernt, besser auf Cems Signale zu achten, auch Kleinigkeiten wahrzunehmen. Und mich mehr auf Cem einzulassen, auf seine Spielideen, auf seine Interessen und Bedürfnisse. Eine Szene hat mich sehr berührt: Cem sagt „Aufpassen, Mama!“; in der Hektik des Alltags hat man oft viele Dinge im Kopf und macht mehrere Sachen gleichzeitig. Künftig werde ich versuchen, Cem viel häufiger meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Eine weitere Erkenntnis war, dass ich beim Spielen zu wenig mit ihm gesprochen habe. Mein älterer Sohn Samet hat das intuitiv schon immer richtig gemacht. Wenn die beiden spielen, begleitet Samet sprachlich alles, was er tut.“
Hat Cem bei der Sprachentwicklung Fortschritte gemacht?
„Die Methode zeigt Erfolge. Von Aufnahme zu Aufnahme sieht man, dass sich Cems Sprache verbessert. Die Sprachentwicklung ist laut Entwicklungstest mittlerweile altersgerecht. Wir sind also sehr weit gekommen. Großen Anteil daran hat neben der Frühförderung auch der Kindergarten Lindenstraße. “
Marte Meo
Marte Meo ist eine videobasierte Beratungsmethode. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen “mars martis” ab und bedeutet sinngemäß “etwas aus eigener Kraft erreichen“. Das Marte Meo-Konzept wurde in den 1980er Jahren von der Niederländerin Maria Aarts entwickelt. Die Grundidee: Eltern und Kinder in Alltagssituationen zu filmen, wie sie miteinander reden und interagieren. Anschließend werden diese Situationen analysiert. Eltern bekommen Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie kommunikative, soziale oder emotionale Fähigkeiten ihrer Kinder besser unterstützen können. Ziel ist es, Eltern zu ermutigen, ihre eigene Kraft zu nutzen, um die Entwicklung ihrer Kinder voranzubringen.