Aus der Praxis – Lennox
Ein Besuch bei Lennox: „Bestärkung ist sehr wichtig“
Gekürzte Reportage aus dem Magazin Blickwinkel, Ausgabe 1/2014
Thomas Dierssen, Leiter der Frühförderung der Lebenshilfe Seelze, steht mit einem bunten Holzturm in der einen und weiterem Spielzeug in der anderen Hand vor dem Haus der Familie Schulz in Mandelsloh. Denise Schulz (31) erwartet ihn schon, mit ihrem Sohn Lennox auf dem Arm. Der Zweijährige hat eine globale Entwicklungsstörung. Lennox erhält zweimal die Woche für eine Stunde Frühförderung.
Spielerisch anregen und fördern
„Guten Morgen in diesem Haus . . . “, kaum beginnt Thomas Dierssen mit dem Singspiel, strahlt Lennox über das ganze Gesicht. Das Sprechen beschränkt sich bei dem Zweijährigen noch auf „Mama”, „Papa” und „Nein”, aber er lautiert viel – und klatscht fröhlich in die Hände. Gleichermaßen fasziniert und konzentriert schaut er zu Dierssen und versucht, dessen Fingerspiel nachzuahmen. Der gesangliche Einstieg zählt zu den festen Ritualen der Förderstunden. Aber diese spielerische Übung hat natürlich ihren therapeutischen Hintergrund: sie soll die Auge-Hand-Koordination stärken. Auch die sprachliche Entwicklung ist ein Aspekt der Frühförderung.
Positive Bestärkung und Motivation
Lennox hat große Probleme mit der Bewegungskoordination. Sich aus der Rückenlage allein zum Sitzen aufzurichten, gelingt ihm noch nicht richtig. Aber auf dem kleinen Spezialstuhl, in den Dierssen ihn nun setzt, kann er seinen Körper schon gut aussteuern. Der große bunte Holzturm entpuppt sich als Murmelbahn. Lennox greift zwar gezielt zu den bunten Murmeln in der Schachtel, verstreut sie aber lieber auf dem Teppich. „Dann versuchen wir es mal mit dem Umräumen von der Schachtel in einen kleinen Eimer”, reagiert Dierssen prompt – das klappt prima. Eine gute Übung zur Schulung der Feinmotorik. Noch mehr begeistert sich Lennox für das Steckspiel mit den bunten „Holzknöpfen”. Konzentriert und ausdauernd setzt er die Farbknöpfe in das Steckbrett. Geschafft. Lennox erfährt von Dierssen und seiner Mutter viel positive Rückmeldung. „Bestärkung ist ganz wichtig”, erklärt Dierssen, „schließlich geht es darum, die Motivation des Kindes am eigenen Tun und somit sein Potenzial zu wecken.” Lächelnd schaut Lennox von einem zum anderen, sucht den Blickkontakt, klatscht in die Hände und grient. „Das Steckspiel macht ihm offensichtlich Spaß, also lasse ich es hier”, meint Dierssen. Die Frühförderung sei auch dafür da, den Familien Materialien zur Verfügung zu stellen.
Frühförderung ist familienorientiert
Bei den Therapiestunden bezieht der Heilpädagoge die Eltern ein. „Es ist wichtig, dass die ganze Familie mitarbeitet und die spielerischen Übungen in den Alltag übernimmt”, betont Dierssen. Bei Familie Schulz funktioniere das bestens. Allein durch die beiden Förderstunden pro Woche hätten sich die Fortschritte bei Lennox nicht eingestellt. „Am meisten lernt Lennox wahrscheinlich von seiner Schwester”, meint Dierssen. Die neunjährige Josephine spiele vorbildlich mit ihrem kleinen Bruder – oft in den Rollen von Lehrerin und Schüler. Lennox habe das Glück, viel unter Kindern zu sein. Trotzdem bekäme der Zweijährige auch die nötige Ruhe, die er braucht, betont Dierssen. Denise Schulz strahlt diese Ruhe aus. Und sie bringt viel Geduld mit. Lennox hat eben sein eigenes Tempo.
In kleinen Schritten voran
Mittlerweile steht der kleine Junge am Sofa gelehnt da und schaut sich gemeinsam mit seiner Mama ein Spiel-Aktionsbuch an. Gebannt bewegt er mit seinen zarten Fingern die Schieber im Buch – immer und immer wieder. Hoch und runter, zur Seite. Dierssen versucht, ihm durch eine leicht veränderte Ausrichtung der Füße, einen besseren Stand zu verleihen. Aber Lennox konzentriert sich jetzt auschließlich auf sein Buch. „Mit Festhalten steht er mittlerweile schon frei”, sagt Dierssen. Die motorische Entwicklung hänge mit seiner geistigen Reife zusammen. Irgendwann werde Lennox sicher Laufen lernen, aber das erfordere, wie alles andere auch, viel Zeit und Geduld. Es ginge buchstäblich in kleinen Schritten voran. „Lennox bekommt demnächst Orthesen”, berichtet Denise Schulz, also spezielle Beinschienen. „Die Orthesen dienen dazu, seine Beine zu stabilisieren und den Muskeltonus zu erhöhen”, erklärt Dierssen. Es würden bald noch weitere medizinische Hilfsmittel eingesetzt, etwa eine Lauflernhilfe.
„Schluss für heut. . .“
Dierssen versucht nun behutsam, das Interesse des Kleinen vom Buch auf den Krabbeltunnel zu lenken. Er kullert einen roten Ball hinein, legt Lennox auf den Bauch – und schon robbt der Zweijährige hinterher. Nur hinauskommen mag Lennox gar nicht mehr; er schaukelt seinen Körper entspannt im Tunnel, rollt sich auf den Rücken und wieder auf den Bauch. Aber es wird Zeit für das Abschlusslied. „Schluss für heut. Adé Ihr lieben Leut” – auf Wiedersehen, Lennox!